„Unser“ Deutschland? -Wessen Deutschland?

Mit dem bevorstehenden Ausschluss Ungeimpfter von Lohnersatzleistungen überschreitet Deutschland, genauso wie manche andere Länder, die Grenze zum Faschismus. Es ist schon seit Jahren gängige Praxis Menschen aus Niedriglohnländern in menschenunwürdigen Unterkünften zusammenzupferchen oder sie in Wagenburgen am Stadtrand hausen zu lassen, damit sie gegen niedrigste Löhne gehorsam der heimischen Herrenrasse die Arbeiten abnehmen, die von denen keiner machen will. Das Einpferchen zuhause ist für die Eigentümer der Unternehmer billiger als der Bau von Lagern. Deshalb kann man auf deren Errichtung verzichten. Die mediengestützte Unterhaltung steht im Dienst des Zuhausehaltens. Die sog. Pandemie macht es sogar unnötig, dieses Interesse der Herrschenden zu verschleiern. [siehe: https://www.youtube.com/watch?v=krJfMyW87vU&ab_channel=Bundesregierung%5D

Es ist jetzt etwa 40 Jahre her, dass ich mich gemeinsam mit den Kollegen eines kleinen DGB-Ortskartells im westlichen Mittelfranken (Bayern) mit der damals aufkommenden Rede von der Globalisierung auseinandersetzte. Einer meiner einführenden, absichtlich provokanten Sätze: “ Vielleicht sind billige Bananen und billiger Kaffee kein Nachweis von Wohlstand, sondern ein wirksamer Bestechungsversuch für die Duldung menschenunwürdiger Zustände in der „Dritten Welt“.“ In der Folge entwickelte sich eine sehr lebhafte Diskussion um Vorteile und Nachteile der sich entwickelnden Globalisierung aus der Sicht der gut bezahlten deutschen Industriearbeiter, von denen es seinerzeit noch viele gab. Für mich ist seit langem klar: Die ideologisch unangefochtene Verknüpfung der Globalisierung mit der Vorstellung von stetig wachsendem Wohlstand unter kapitalistischen Bedingungen ist eine der Grundlagen der gegenwärtigen Schwäche in der Durchsetzungskraft der Gewerkschaften.

Um die grausige Realität der Kehrseite dieses Prozesses vergessen zu machen, wurden mit Zustimmung der besser und hoch Qualifizierten aller Länder unter der Devise „no borders-no nations“ die letzten Schranken beseitigt, die auf der Grundlage des Rechts territorial begrenzter Einheiten soziale Sicherheit für deren Bewohner garantierten. Fast alle Parteien beteiligten sich daran, der Vorstellung zum Durchbruch zu verhelfen, dass für alle gleich der Bildungswille und die Vorlage weltweit gültiger Fähigkeitsnachweise in eine gesicherte materielle Zukunft führe. Dem ist nicht so. Es war und ist gelogen. Reihenweise wurden uns in den zurückliegenden Jahren gebildete und bildungswillige Asylsuchende oder Armutsmigranten vorgeführt, die als Ärzte und Pflegerinnen die Jobs der hierzulande ausgebildeten Menschen zu schlechteren Arbeitsbedingungen übernahmen und eine Wanderung der bei uns Qualifizierten in die wenigen Nachbarländer hervorriefen, die wegen ansehnlicher Restbestände von Sozialstaat und Arbeitsrecht noch bessere Arbeitsbedingungen zu bieten haben.

Die medial verbreitete Losung „weltweiter ungeregelter freier Handel sichert Wohlstand“ ersetzte innerhalb der Nationalstaaten und zwischen den weltweit konkurrierenden Arbeitsnomaden mit und ohne Abitur unter Vorspiegelung weltweiter individueller Mobilität mit Hilfe von Ryan Air die internationale Solidarität der arbeitenden Menschen und ermöglichte in der gegenwärtigen Krise die Ersetzung einer internationalen solidarischen Praxis der Arbeitenden durch einen moralischen Begriff der Solidarität mit allen angeblich gesundheitlich gefährdeten Menschen – ungeachtet der Tatsache, dass selbst die Pest nicht Arm und Reich in gleicher Weise traf und schon Virchow (1821 – 1902) wusste, was Heinrich Zille (1858 – 1920) in die Worte fasste: „Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt.“ Trotz des seit langem vorhandenen Wissens über die Verbreitung infektiöser Erkrankungen untersuchte z. B. im vergangenen Jahr ein wissenschaftliches Institut die Infektionsgefahr am Arbeitsplatz bei Tönnies – ohne zu berücksichtigen, dass die in diesem Zusammenhang verordnete häusliche Quarantäne Menschen betraf, die sich in der Folge über bis zu 14 Tage mit mehreren Personen ein Zimmer teilten.

Die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft bleibt der hauptsächliche Antrieb unmenschlicher Scheinlösungen mit Durchbrüchen zu manifester Diktatur. Sowohl im Innern der Nationalstaaten als auch global: Hunger und Krieg, Kriege und Hunger sind nach wie vor die größten Feinde der aktuell lebenden Menschen, nicht alljährlich saisonal wiederkehrende virale Erkrankungen. Wer satt ist – „satt“ ist nicht gleichbedeutend mit grenzenlos überfressen – lebt vergleichsweise gesund.
Der Zulauf für rechte Parteien ist eine logische und gewollte Folge der konsequenten Entrechtung der arbeitenden Menschen durch eine parasitäre Oberschicht. Der Besitz einer Yacht, die wegen ihrer Größe in keinen Hafen mehr einlaufen kann, ist kein Ausdruck menschlicher Wertschätzung für verdiente Mitmenschen. Rechte Parteien instrumentalisieren das Bedürfnis der Menschen nach sozialer Sicherheit – nicht irgendwo auf dem Erdball, sondern daheim – für die Rechtfertigung des Fortbestehens von Ausbeutung und Krieg. Sie halten ein System aufrecht, das die Zustände herbeiführt, die es erleichtern Beheimatete gegen Wandernde auszuspielen. Solange Linke und ihre Gruppen, Organisationen, Parteien vorrangig an der Verbesserung der Moral arbeiten statt an der Verbesserung der Zustände, werden wir – alle Menschen – unter Hunger und Krieg leiden.

Stichwort: Nationalismus

In loser Folge widme ich mich sehr offenen Begrifflichkeiten der aktuellen ideologischen Auseinandersetzung.

Der Bezug zu Nation und Nationalstaat wird zunehmend instrumentalisiert, um die existierende Linke zu spalten und zu marginalisieren. Dabei wird unterschlagen,  dass Nation und Nationalismus keine gleichbedeutenden Begriffe sind.

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Stichwort: Internationalismus

Eine seltsame Allianz globalisierungsfreundlicher progressiver Humanisten und antirassistischer Freunde des US-amerikanischen Imperiums versucht gegenwärtig in der öffentlichen Debatte – merkwürdigerweise unterstützt von traditionell als „links“ angesehenen Medien und Organisationen – einen eindimensionalen Gegensatz zu konstruieren zwischen den Begriffen Nationalismus und Internationalismus.

Dabei beziehen sich die Begriffe auf  unterschiediche Aspekte gesellschaftlicher Wirklichkeit. Der eine versucht Beziehungen zwischen Menschen, den von ihnen bewohnten Räumen und ihrer kulturellen Praxis zur Legitimierung territorialer Ansprüche zu benutzen.  Der andere ist Bestandteil einer politischen Praxis, die sich im Interesse der  Ausgebeuteten gegen die Ausbeuter wendet.  Beiden Konzepten liegen Erfahrungen weitaus längerer historischer Zeiträume  zugrunde, als es die Verengung auf  den  Faschismus und seine Vorgeschichte nahelegt.  Ihrer politischen Instrumentalisierung ist kaum Einhalt zu gebieten, wenn man zeitliche Dimension, materielle Bedingungen menschlicher Existenz  und  ökonomische Interessen nicht in die Betrachtung einbezieht.  Solche Begriffe zu verwenden ohne die historischen,  ökonomischen, gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Entstehung und ihres Bedeutungswandels zu spiegeln, sie als Bedeutungsträger wie  Apfel,  Orange oder Zimt zu behandeln, zeugt von sträflicher politischer Dummheit.

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Wer oder was ist … ?

am 04. Dezember vorangestellt:

Die schärfsten Kritiker Sahra Wagenknechts, die das ND zu Wort kommen lässt, kommen aus dem Umfeld des Instituts Solidarische Moderne. Mitglied im Vorstand: Katja Kipping.  Auch  Mario Neumann habe ich dort gefunden. Er ist verantwortlich für die Pressearbeit.

nd_neumann

Keine Angst – es handelt sich wie ersichtlich um einen Kommentar. Diese Klassifizierung enthebt alle Urheber der journalistischen Verpflichtung, sich um Inhalte oder gar inhaltliche Richtigkeit zu bemühen. Den eigenen Senf dazuzugeben ist von der Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt. Bei Rechten und bei Linken. Mit einem kleinen Unterschied: Bei Rechten ist man´s gewohnt, bei Linken hat sich mir bisher diese Frage selten, fast nie gestellt, denn wer an Aufklärung, Erhellung interessiert ist, hütet sich vor inhaltsleerem Blabla. Allem Anschein nach sind die Linken in Deutschland 10 Jahre nach dem offiziellen Start des  Projekts DIE LINKE aber da angekommen, wo die Rechten schon immer waren: beim Begriffsgeschwurbel. Das als bürgerlich idealistisches Gewäsch abzutun, wäre noch zuviel der Ehre. Es lebe die Inhaltsleere, für uns zählt das Wort.

Linke Ideologieproduktion

Ein Musterbeispiel für dieses neue linke Denken ist der o. g. Kommentar [ https://www.neues-deutschland.de/m/artikel/1071703.die-linke-migration-und-die-klasse-es-geht-nicht-um-wagenknecht-es-geht-um-die-zukunft-linker-politik.amp.html ], erschienen im „Neuen Deutschland“, einer Zeitung, die früher einmal über Positionen innerhalb von Staat und Partei informierte und allem Anschein nach inzwischen verkommen ist zu einem marktkonformen Aufreger-Produzenten für eine bestimmte Klientel –  diejenigen, die sich selbst als Linke sehen. Kaum ist es gelungen, durch ausformulierte  Alternativen wie Vorschläge zu einer Bürgerversicherung oder zur Verbesserung der Zustände in der Pflege im alten Westen dieser neuen Republik nennenswerte Stimmenzuwächse bei Wahlen zu generieren, machen sich die Verlierer in den östlichen Bundesländern auf, das zu verteidigen, was sie seit 1990 als demokratische neue deutsche Welle kreiert und umgesetzt haben: das Verscherbeln öffentlicher Wohnungsbestände, die Reduzierung des Personals im öffentlichen Dienst, die Rettung von Arbeitsplätzen mithilfe von Unternehmenssubventionen, die Fortführung umweltschädlicher Betriebe im Interesse  der beteiligten Konzerne und vereinzelter Arbeitnehmer**en usw.

Ein Dankeschön für diese klare Haltung ist die für 2020 (??) geplante Eröffnung eines architektonischen Meisterwerks in der früheren Osthälfte Berlins. Die parteinahe politische Stiftung soll darin zukünftig ihr Wesen treiben, [ https://www.rosalux.de/stiftung/der-neubau-der-stiftung/  ], natürlich bezahlt aus öffentlichen Mitteln und mit ansehnlichen laufenden Zuschüssen für die Beschäftigung einer linken Akademikerklientel von Gesellschaftswissenschaftler**n, die ansonsten der Prekarität ausgeliefert wären –  wie alle, deren ideologisches  Anpassungsvermögen sich in klaren Grenzen hält. Wenn das kein angemessener Ausgleich dafür ist, dass man sich in diesen Kreisen zunehmend an den Vorgaben der Bundeszentrale für politische Bildung orientiert, die ganz genau weiß was rechts“extremistisch“ ist: Populismus, Rassismus, Verschwörungstheorien, Antizionismus und Antiamerikanismus! Es lebe der inhaltslose Begriff, zumindest inhaltslos hinsichtlich dessen, was früher die zentrale Frage linken Denkens war: Wer profitiert, wie und warum? Oder auch: Wie gelingt es den Herrschenden die arbeitenden angeblich dummen, ungebildeten Menschen bei der Stange zu halten? Die neuere Ideologieproduktion von ND, Rosa-Luxemburg-Stiftung, der parteiinternen Strömung „Forum Demokratischer Sozialismus“ und  von Katja Kippings Projekt „Institut Solidarische Moderne“ hilft mit, „links“ umzudeuten. Sie lenken mit aller Kraft den politischen Diskurs in Bahnen,  die Noam Chomsky in aller Kürze so beschreibt:

„The smart way to keep people passive and obedient is to strictly limit the spectrum of acceptable opinion, but allow very lively debate within that spectrum – even encourage the more critical and dissident views. That gives people the sense that there’s free thinking going on, while all the time the presuppositions of the system are being reinforced by the limits put on the range of the debate.“

deutsch:

„Der intelligente Weg, Leute passiv und fügsam zu halten, besteht darin, die Breite der akzeptablen Überzeugungen strikt zu begrenzen, jedoch innerhalb dieser Grenzen eine sehr lebhafte Debatte zu erlauben – gerade zu kritischen und anders denkenden Sichtweisen zu ermuntern. Das gibt den Leuten die Wahrnehmung, dass freies Denken möglich ist, während die ganze Zeit die Vorannahmen des Systems bestärkt werden durch die Grenzen, die der Debatte gesetzt werden.“ (Übers.: ??) [ zitiert nach http://www.vordenker.de/blog/?p=1078 ]

Die Ideologieproduktion des von mir umrissenen Umfelds der Partei DIE LINKE beteiligt sich ohne jeden Zweifel an dem Unternehmen der Herrschenden meines Geburtslandes, die Grenzen des Sagbaren zu verengen, demokratischen Konsens zu stiften und den gesellschaftlichen Diskurs in Gefilde zu lenken, in denen die materiellen Lebensbedingungen der Menschen keine Rolle mehr spielen. Eine imaginierte neue globale Freiheit findet ihren Ausdruck  in weltweiter Anerkennung fließender Übergänge zwischen Staaten, Geschlechtern,  Aussehen, Sprachen, Lebensbedingungen. Solidarität entwickelt  sich in dieser schönen neuen Welt zwischen den sich gegenseitig umfassend anerkennenden Individuen, die von einem garantiert nicht mehr geprägt sind: ihren gemeinsamen materiellen Lebensbedingungen, die allen Anlass geben, sie zu verändern.  Die neue Solidarität entfaltet sich in den sozialen Konflikten zwischen Veganer**n und Fleischesser**n, im Kampf um die Anerkennung der Bedürfnisse geschlechtsloser Menschen, die gemeinsam die gleichen Toiletten benutzen und die auf wundersame Weise weltweit aus unersichtlichen,  mythischen Quellen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen alimentiert werden.  Mario Neumann kämpft an der Seite derer, die uns die globalisierte, bis in den letzten Winkel von Kapital und Markt bestimmte Welt als freiheitliches Konzept verkaufen wollen. Eine sich selbst als „links“ definierende Partei soll sich M. N. folgend an diesem Tun beteiligen. Diese Strategie hat keinen Neuigkeitswert. Sie wird spätestens seit Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika  in allen Ländern angewendet, in denen  die Gefahr wächst, dass der Widerstand der Verarmenden und Verarmten an Einfluss gewinnt und die Möglichkeiten unbewaffneter  realer Einflussnahme auf der Grundlage von Wahlen wachsen.

Mario Neumann hat Recht: „Es geht um die Zukunft linker Politik.“ 

Ohne jeden Zweifel will Mario Neumann auf eine Modernisierung linker Politik hinaus, die keine materiellen Lebensbedingungen, keine Klassen und keine materiellen  räumlichen Unterschiede wie Ressourcen oder  Klima mehr kennen soll. Klassenlos erfreuen wir uns global an der von Klimaanlagen erzeugten Kühle bzw. Wärme. Wir verständigen uns weltumspannend mit allen Menschen, die guten Willens sind, vorausgesetzt sie sprechen Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch und nicht allein eine der weltweit noch vorhandenen 6500 – 7000 Sprachen. [ http://home.uni-leipzig.de/muellerg/su/haspelmath.pdf ] Wir heißen  die Armen des globalen Südens bei uns willkommen, damit sie in unserer reichen Wirtschaft ihren Beitrag dazu leisten können, den nicht Englisch sprechenden  Kleinbauern ihrer Heimatländer die Existenz zu entziehen. Arbeitsplätze bei uns für die Mühseligen und Beladenen aus aller Welt bei gleichzeitiger Ausschüttung von monatlich 1050 € an alle Freigesetzten! Das ist die endgültige Überwindung von nationaler, kolonialer und  imperialer Herrschaft und Ausbeutung, die uns blüht – wenn wir´s richtig machen und modern. Wer´s nicht glaubt, ist – wie sagt es Mario Neumann – Anhänger der veralteten Ideologie vom „nationalen Wohlfahrtsstaat“.

Ich halte eine auf  Frieden gerichtete Politik ohne Berücksichtigung der real vorhandenen materiellen und kulturellen Interessen aller Menschen innerhalb der gegenwärtig territorial definierten Räume nicht für möglich. Die Fortsetzung der aus- und nachdrücklichen deutschen Globalisierungs-Agenda 2010 nach innen und außen unter dem Grundsatz „Wir kennen keine Nationen mehr“ soll zur Antwort gemacht werden auf die heute und damals auch von finanzstarken amerikanischen Kräften mitgetragene rhetorische  Frage eines gewissen Joseph Goebbels:  „Sollte die stärkste Militärmacht der Welt nicht in der Lage sein, die Drohung des Bolschewismus zu brechen, wer brächte dann noch die Kraft dazu auf?“  [ http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0200_goe&object=translation&st=FRIEDEN – ]

Nicht mit mir!

Ausführliche Bissigkeiten zu Mario Neumanns Text  folgen.

 

NEIN!

Von zwei Abschieden

Ich sehe sie noch vor mir, die Seiten in der Frankfurter Rundschau im Jahr 1999 mit dem vollständigen Text des sog. Schröder-Blair-Papiers . Ich las, ich las mehrmals, ich weigerte mich, diesen „Vorschlag“ der Herren Schröder und Blair, in Wirklichkeit der Herren Hombach und Mandelson, anzunehmen. Zunächst, noch im selben Monat, im Juni 1999 referierte  ich für die GenossInnen der AfA  (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen) zum Inhalt dieses Papiers. Auf ihre Bitte hin tingelte ich in den darauf folgenden Monaten durch die Ortsvereine meines Unterbezirks, machte meine Genossinnen und Genossen mit dem Papier bekannt und diskutierte mit ihnen, manchmal bis spät in die Nacht.

Die praktische Umsetzung dieses Vorschlags ließ nicht lange auf sich warten. Frau Kramme, MdB Bayreuth, während der Legislaturperiode 2013-2017 Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, versuchte uns die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe, in die Geschichte eingegangen unter dem Kürzel „Hartz IV“,  schmackhaft zu machen. Ich sagte laut und deutlich „Nein“ und verließ die SPD, als ich sah, dass ich in und mit der neuen deutschen Sozialdemokratie nichts mehr würde ausrichten konnen.

Die Globalisierung, die wir schon seit den frühen Siebzigern in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit diskutiert hatten, ihre möglichen Auswirkungen in Wirtschaft und Arbeitswelt: Ohne jede Gegenwehr der Sozialdemokratie in den entwickelten Industrieländern erfasste sie mit voller Wucht immer schneller die arbeitenden Menschen rund um den Globus. Mit Unterstützung der deutschen und europäischen Sozialdemokratie hat  die neoliberale Globalisierung  die Welt unter ihre Herrschaft gebracht. Im Interesse der „globalen Konkurrenzfähigkeit der nationalen Volkswirtschaften“ – so die Begrifflichkeit der Herrschenden – wurden hier Industriezweige vernichtet und andernorts mit Hilfe staatlicher Subventionen, des IWF und der Weltbank im Interesse der Aktionäre  aufgebaut. Die Fäden für meine Hemden und Hosen werden nicht mehr in Kulmbach, Bayreuth und Hof gesponnen, erst Recht nicht mehr im „befreiten“ Manchester Mecklenburgs, dem Landstädtchen Malchow.  U. a. die Handelskette KiK verhökert zu Niedrigstpreisen die in Asien gefertigten Kleidungsstücke. Gefertigt unter Arbeits- und Lebensbedingungen, die ich meinem schlimmsten Feind nicht wünsche. Auch die „Marken“ lassen dort fertigen, unter den gleichen Arbeitsbedingungen mit höheren Gewinnspannen.

In den  Industrieländern Europas wurde mit Unterstützung der „modernen“ Sozialdemokratie das gewerkschaftlich organsierte Industrieproletariat umgewandelt in ein Mosaik werktätiger Kasten, die Werkverträgler, Leiharbeiter, Stammbelegschaft heißen. Wer in diesem System ein Arbeits-Los ziehen will, muss an 7 Tagen  24 Stunden lang verfügbar sein, sich auf eigene Kosten um die Qualifizierung seiner Arbeitskraft kümmern und ebenfalls auf eigene Kosten heute hier und morgen dort arbeiten. Mit Wegen zur Arbeit von täglich bis zu 4 Stunden für Hin- und Rückfahrt, für manche auch 1000 km am Wochenende um mal nach den Kindern zu sehen oder nach dem Gefährten. Die von Schröder und Blair anvisierte globale Konkurrenzfähigkeit der nationalen Volkswirtschaften wurde durch  eine erzwungene Flexibilität und Mobilität der Arbeitskräfte erreicht, die Familien belastet, wenn nicht sogar zerreißt und die Kindern Stundenpläne aufzwingt, die kaum noch ein Stündchen „Trödeln“ enthalten. Man muss sie beizeiten gewöhnen, die Kleinen, an eine effiziente Lebensführung. Nur wer beizeiten übt, mit  Schule und Turbo-Abitur hier, dort Sport, da drüben Nachhilfe und zur Entspannung Bezahlvergnügen, bereitgestellt von der Kultur- und Freizeitindustrie, nur der wird als Erwachsener die neue Freheit richtig genießen können. Früh wird gekrümmt, was ein Haken werden soll.

Ein solches Leben wollte und will ich nicht. Nicht für mich, nicht für meine Tochter, auch nicht für meine Enkelin. Auch meine Tochter nicht für sich und nicht für ihre Tochter.  Ich kenne niemanden, dem diese Art der Lebensführung gefällt. Sie ist so üblich, sie wurde und wird erzwungen. Sie ist gerichtet gegen die inviduelle Selbstbestimmung. Die herrschende Propaganda, die Propaganda der Herrschenden, suggeriert, sie beinhalte ein nie gekanntes Ausmaß an individueller Freiheit. Gemeint ist dabei jedoch ausschließlich die Konsumfreiheit – so man der oberen Kaste angehört. Für die Familien und Kinder der beiden unteren Kasten der Werktätigen und für die hier noch nicht erwähnte unterste Kaste, die der „Überflüssigen“, gibt es nicht einmal die.

Bekannte Mitglieder – keineswegs das Fußvolk, das in Wahlkämpfen zum Verteilen des Werbematerials gebraucht wird und zum Plakatieren – der linken Partei zu deren Entstehen ich zwischen 2002 und 2017 mein Scherflein beigetragen habe, sind dem Charme  der Konsumfreiheit in der erzwungenen Globalität erlegen. Sie interpretieren den globalen Zwang der Arbeit nachzuziehen, über alle Grenzen hinweg, die Stadtgrenze, die Landkreisgrenze, die Bezirksgrenze, die Landesgrenze, die Staatsgrenze, ja sogar über das Ende des Kontinents hinaus,  als neue, große, globale Freiheit. Sie gehen, wahrscheinlich weil sie über ein hohes kulturelles Kapital verfügen und nicht selten über ein ansehnliches materielles, leichtfüßig über die Nöte derer hinweg, die diese Freiheit einfach nicht haben, mit großer Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nicht haben werden. Die nagenden, klitzekleinen Ungeheuer des schlechten Gewissens werden auf der Grundlage eines ordentlichen Einkommens besänftigt durch die regelmäßige Beschaffung von cradle2cradle Produkten in TOP-Design, unverpackten Lebensmitteln im Bio-Supermarkt, fair gehandelten Tees, handwerklich hergestellten Brotes und  jährlich vier Arbeitseinsätze beim Biobauern. Genau diese Leute schütten ihr giftiges Moralin aus über diejenigen, die diese „Freiheit“ nicht wollen,  diejenigen,  die hinter dieser Freiheit den Zwang spüren, der ihnen an jedem Freitag und jedem Sonntag 10 -12 Stunden und mehr  ihres Familienwochenendes raubt , einmal in der einen Richtung, einmal in der anderen im Stau auf dem Weg zur Arbeit,  nicht weit von meinem Wohnort auf der A 9. Und sie schütten das Gift der Diffamierung aus, über diejenigen, die an deren Seite stehen, weil sie den Zwang erkennen und keinen Freiheitszuwachs.

Wer sich auf den gefährlichen Weg macht, durch die Wüste und übers Meer, auf die Länder der Arbeit zu, der genießt kein globales Menschenrecht auf Freizügigkeit. Der wird getrieben von der Peitsche des Hungers oder der Bestie Krieg. Die Peitsche wird geschwungen von den Profiteuren der Globalisierung, die Bestie von ihnen gefüttert. Wer versucht,  dem sich daraus ergebenden Elend auf der Grundlage falscher Einschätzungen zu begegnen, wird es nicht verringern, sondern zu seiner Ausdehnung beitragen. Wohltätigkeit verbessert die Lebenssituation der Einzelnen, sie beseitigt nicht die Ursachen ihrer schlechten Lage.

Deshalb sage ich erneut „NEIN!“ Wissend, dass es weder denen auf dem Meer hilft noch denen im Stau nützt. Ich sehe, ich werde unter und mit der LINKEN nichts mehr ausrichten können.